Und so überkommt es mich, an einer Stelle, an der ich es nicht vermutete. Ich überkomme mich selbst, und sehe wieder klar. Ich habe mich erhoben, bin aufgestanden, aufgewacht. Ohne einen Wecker, ohne, dass mir jemand sagte: du sollst aufstehen. Es ist einfach und unmittelbar passiert. Ich stehe auf festem Boden. Mir ist wohl und die Welt ist schön.
Es kommt in Momenten kindlicher Unschuld. Wenn ich es nicht erwarte, wenn ich es nicht heraufzubewirken versuche. Es kommt, wenn ich es lasse. Lassen bedeutet auch gehen lassen. Es tut nicht gut daran festzuhalten. Wenn es gerne kommt, muss ich es nicht festhalten, nicht behalten, nicht begreifen, nicht bleibend machen. Denn es ist nicht „meins“. Es ist eigenständig, hat einen eigenen Willen und tut wie es will. Ich kann einen Raum schaffen, in dem es gut sein kann und gerne ist. Ich kann ihm eine gute Bedingung, ein Nährboden, ein Heim sein. Als Hüter und Ermöglicher, damit es sicher spielen und entdecken kann. Und dann kann ich, der Hüter und Ermöglicher, noch zum Geschichtenerzähler werden, der von dem Spielen und Entdeckten erzählt.
Wachheit bedeutet intensiv erleben. Um wach sein zu können muss zunächst ein Weg gefunden werden, mit der Intensität der Welt klarzukommen. Eine Art zu sehen, die einen guten Umgang mit dieser Intensität ermöglicht. Heute ist es gelungen. So wie ich jetzt sehe, sieht es sich gut. Ich sehe die Welt leuchten, wie eine Sonne, von sich heraus strahlend. In dieser Hinsicht auf die Dinge, dieser Art hinzusehen, habe ich alles was ich brauche. Ich stehe voll, stehe ganz in der Welt, bin voll-ständig. Kein Teil, der woanders ist und zieht. Alles von mir ist hier und als Gesamtheit hat es einen Willen, einen herrschenden Gedanken. Ich bin von einer Vielheit, einer inneren Gespaltenheit, zur Einheit geworden; vom Dividuum zum In-dividuum. Ich bin ganz in die Welt eingelassen und lebe dort in der Fülle. Denn Fülle kommt durch Einlassen. Jetzt geht auch das Lächeln leichter und echter über die Lippen. Der Deckel hebt sich und der Druck entweicht. Ich stehe nicht mehr unter dem Druck. Und ohne nach oben hin gedeckelt zu sein, sehe ich … Möglichkeiten. Wenn der Dampf entweicht, können Licht und gute Gedanken einfallen. Einfälle sind sie, die Möglichkeiten.
Aus dieser wachen Hinsicht auf die Welt ist auch klar, wie es sich mit den Zweifeln verhält: Sie leben in den Zwischenräumen, dort, wo man nicht hinsieht – wie alle Geister, Götter, Dämonen und Fabelwesen. Wenn man den Raum, der einem gegeben ist, ganz ausfüllt, wenn man ganz und vollständig da ist, wach ist, und auch die Zwischenräume mit Leben, Licht, Bewusstsein durchströmt sind – wenn das eigene Wesen voll aufgespannt, voll entfaltet ist – dann bleibt kein Platz für Einbildungen, wie es Zweifel sind. Alles ist wahr, alles ist echt, alles ist eins. Und wenn es eins ist und nicht zwei, dann ist man nicht in Zweifel sondern in Einigkeit.
Und wie ich zwischen Wachheit und Halbschlaf schwanke, bekomme ich immer wieder einen Anflug von Zweifel an dieser neuen Wachheit, genauer gesagt, von einem Nicht-gefallen-lassen-können derselben. Ich denke mir, oder besser gesagt, es denkt mir: Warum habe ich es nicht viel früher schon so gemacht? Wenn die Wachheit so einfach ist, wenn sie einfach so kommt, warum habe ich so viel Zeit meines Lebens im Halbschlaf verbracht?
Und die Gedanken formen sich, wie so oft beim Wandern, zu einer Antwort und Lösung:
Das es jetzt, als letzter Schritt, leicht war, heißt nicht, dass kein langer Weg dafür notwendig war. Dein Schwanken und Zweifeln ist ein Anzeichen dafür, dass du dich kurz vor dem letzten Schritt befindest. Der letzte Schritt zur stabilen Wachheit – jetzt, wo sie sich dir immer öfter anbietet – ist: sie dir gefallen zu lassen. Es ist neu. Es ist gut. Der letzte Schritt eines langen Weges ist auch bloß ein Schritt. Ihn zu gehen, braucht gewiss nicht viel. Aber vergiss all das nicht, was du die ganze Zeit nebenbei, still, heimlich und hoffnungsvoll im Verborgenen getan hast, um diesen Moment zu ermöglichen. Deine Reise findet hier ein vorläufiges Ende. Eine neue Stufe ist erreicht.